Zusammenfassung

1. In dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruch entstehen neue Chancen für eigenwillige Identitäts- und Normalitätsentwürfe. Aber auch die Notwendigkeit individueller Passungsarbeit von inneren und äußeren Realitäten.
2. Die Leitfäden für diese Passungsarbeit können nicht mehr problemlos aus dem Vorrat an "Normalformtypisierungen" der Einfachen Moderne bezogen werden, deshalb besteht berechtigte Skepsis gegenüber den Schnittmustern früherer Generationen. Erwachsene sollte auf die Fiktion verzichten, als hätten sie diese Schnittmuster. Wenn ihnen die Funktion von Vorbildern zukommen soll, dann in ihrer Bereitschaft, Ungewissheiten zu akzeptieren und das nicht-regressive Umgehen mit ihnen vorzuleben.
3. Der Zugang zu materiellem, kulturellen, sozialem und psychischem Kapital ist eine zentrale Voraussetzung für eine selbstbestimmte Identitätsarbeit.
4. Für die alltägliche Identitätsarbeit sind Kontexte der Anerkennung unabdingbar. Damit sind die Chancen der Zugehörigkeit zu einer tragenden Gemeinschaft, zu einem sozialen Netzwerk gemeint, das schützt und die Suchbewegungen und Versuche ermutigt, eigene Möglichkeiten zu entdecken und zu realisieren.
5. Gelingende Identitätsarbeit heißt, für sich selbst einen authentischen Lebenssinn zu finden, ein Gefühl der Kohärenz. Dieses kann man immer weniger ein-fach aus einem kulturellen Raum abrufen und übernehmen, sondern es muss in einem selbstreflexiven Prozess gefunden und entwickelt werden.
6. Das Kohärenzgefühl braucht also einen kommunitären Rahmen, in dem Ermutigung, Realitätsprüfung, Anerkennung und Zugehörigkeit vermittelt werden. Also die Basis für das Ziel, "ohne Angst verschieden sein können".
7. Heranwachsende brauchen gesellschaftliche Gelegenheitsstrukturen, sich als "Subjekte ihres Handelns" zu erleben und das bedeutet verbindliche Teilhabechancen, die durch eine Politik des Empowerment zu sichern sind.
8. Ich sehe zwei Varianten des Scheiterns in der Bewältigung der genannten Anforderungen: Den individuellen Verzicht, sich weiterhin um eine akzeptierte Passung von Innerem und Äußerem zu bemühen. Und die kollektive "Schiefheilung" (Freud), in der die Suche nach einem selbstreflexiven Lebenssinn zugunsten der Übernahme ideologischer Prothesen (z.B. Rassismus, esoterischer, religiöser oder politischer Fundamentalismus) aufgegeben wird.

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