7. Aus - blick

Psychomotorik ist historisch und gesellschaftlich eingebunden. Das Leben wird immer vielschichtiger und vieldeutiger. Psychomotorik ist Teil postmoderner Wirklichkeit. Auf phänome-nologischer Ebene unterliegt auch Psychomotorik dem Prinzip 'Engung und Weitung' (SCHMITZ 1992, 27ff). Historisch hat sich die deutsche Psychomotorik aus der Weitung verschiedenster Richtungen und Ansätze (ca. 1955 - 1965) und dem Integrieren v.a. durch KI-PHARD als Psychomotorische Übungsbehandlung entwickelt. Mit der Verwissenschaftlichung und Einrichtung des Studiengangs 'Motologie', ergab sich eine Engung auf Definitionen und Abgrenzungen (ca. 1965-1985). Mit Etablierung einer Psychomotorik / Motologie hat sich ab ca. 1985 erneut eine Weitung ergeben, die uns mit der postmodernen Überlegung und der Aufkündigung des Einheitszwangs Vielheit und Vielfalt nahebrachte.


Stichworte:

     

Stichworte:

Sinnesphysiologische Erziehung,
Montessori-Pädagogik,
Rhythmik,
Gymnastik,
Musikpädagogik,
Heilpädagogik,
Turnen,
Leibeserziehung,
Sport,
u.a.

 

Psychomotorische
Übungsbehandlung


Motologie

 

Pränatale Forschung,
Subjektive Anatomie,
Chaos-Forschung,
System-Konstruktivismus,
Longitudinale Entwicklungsstudien,
Protektive Faktoren,
Entwicklung in der Lebensspanne,
Entwicklungspsychologie,
Psychoanalyse,
Dialogischer Prozeß,
'Intuitive Parenting',
Pädagogik d. 'Achtsamkeit',
u.a.

Weitung
bis ca. 1965

 

Engung
ca. 1965 - 1985

 

Weitung
ab ca. 1985


Meine These lautet, daß wir heute ohne bewußte Nutzung der Weitung auch in der deutschen Psychomotorik zu einer Spaltung kommen können. Unter den Marginalien von Macht könnte dann ausgegrenzt werden und Schulen entstehen, die sich nichts mitteilen (wollen). Stärkung der Psychomotorik als Passung an postmoderne Lebenswirklichkeit bedarf der 'Weitung'. Eine Perspektive der Psychomotorik kann unter den dargelegten Umständen nur heißen: Entwicklung von Diskussion, Wertschätzung der Meinung, Begegnungen in Diskursen. Unterschiedliche Strömungen das Recht und die Möglichkeit ihrer Meinung zugestehen, sie in ihrer Meinung unterstützen, um sich darzulegen, auszutauschen, und in der achtsamen Wahrnehmung von Differenz sich selbst und die Psychomotorik weiterzuentwickeln. Dies beinhaltet einen Paradigmenwechsel im konstruktiven Umgang mit Macht (vgl. ORTH / PETZOLD./ SIEPER 1996,163ff). Macht, wie es bislang als Ausgrenzung betrachten wurde, ist nun als ein Gebot des Miteinander zu verstehen, als die konstruktive Möglichkeit des Umgangs mit ihr zu pflegen. Es geht um die Integration von Ansätzen und das Akzeptieren und Einbeziehen des Vielen. Es gibt auch hier eine Utopie, das Paradigma der Mehrperspektivität zu beachten, anzustreben und auf die Psychomotorik zu übertragen. Diesen multiperspektivischen Blick zu weiten und die Ganzheit als Vielfalt der Teile zu betrachten. Und nur so kann die Qualität von Psychomotorik weiterentwickelt werden, die Kiphard in den Anfängen der 'Psychomotorischen Übungsbehandlung' aus dem Vielen aufnahm, lebte, lehrte und integrierte. Integration des Vielen bedeutet jedoch nicht, alles zu integrieren, was nicht zu integrieren ist, zu versöhnen, was nicht zu versöhnen ist. "Integration ist also, bei aller Korrespondenz, auch ein Kampfbegriff, d.h. sie muß im offenen, fairen Streit erarbeitet werden (...eine Öffentlichkeit...), die diesem gegenseitigen Kampf um Anerkennung der jeweiligen theoretischen Meinung Raum gibt, sich zu entfalten" (Zaepfel / Metzmacher 1996, 474).

Ich erhoffe und erwarte von der deutschen psychomotorischen Bewegung, diese Öffnung offensiv -organisatorisch und inhaltlich- zu entwickeln und Foren zu schaffen, unterschiedliche Strömungen auf Basis einer humanistischen Arbeit mit dem Kind, Raum zu geben, Diskurse zu eröffnen und offensiv den multiperspektiblen Blick zu ermöglichen. Denn die Einheit in der Vielheit wird einer möglichen Spaltung Widerstand durch die Einheit mit dem Ausschluß von Macht bringen.

Wer nach diesen Überlegungen sagt, daß das immer schon so gewesen ist, dem entgegne ich mit Zygmund BAUMANN: "Postmoderne ist die Moderne, die volljährig wird: die Moderne, die sich selbst aus der Distanz betrachtet statt von innen. (333) (...) In dieser Hinsicht unterscheidet sich die postmoderne Lage natürlich überhaupt nicht von allen anderen Lagen; sie unterscheidet sich lediglich dadurch, daß sie sich dessen aufgrund ihres Wissens bewußt ist, daß sie ohne Garantie lebt, daß sie auf sich selbst gestellt ist (313). (Und, das Fremde, die andere Meinung nicht nur zu akzeptieren, sondern, M.P.) man muß sie auch respektieren - und sie genau in ihrer Andersheit respektieren, in den Wahlen, die sie getroffen haben, in ihrem Recht, sich für etwas zu entscheiden. Man muß die Andersheit im anderen ehren, die Fremdheit im Fremden, indem man sich erinnert - mit Edmond Jabes - daß 'das Einzigartige universal ist', daß das Verschiedensein bewirkt, daß wir uns ähneln, und daß ich meine eigene Differenz nur dadurch respektieren kann, daß ich die Differenz des anderen respektiere.(...) Das Recht des anderen auf seine Fremdheit ist die einzige Art, wie sich mein eigenes Recht ausdrücken, etablieren und verteidigen kann. Mein Recht setzt sich aus dem Recht des anderen zusammen" (286 f).

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