DER WANDEL – das Unvermeidliche

„Nur Mut, das Schlimmste was passieren kann, ist doch, daß es in die Hose geht. Und da kriegen wir es doch wieder heraus!“(KIPHARD.u.PADE, 1986, 15).

„Ich gehe mit dem, was das Kind mir gibt“(AUCOUTURIER,. Vortrag in Köln, Juni 1989).

Um diese beiden Positionen zusammenzubringen, bedurfte es über lange Jahre vieler zufälliger Krisen und krisenhafter Zufälle und vor allem der liebevollen, aber unnachgiebigen, von viel Geduld und Mitgefühl getragenen Reaktionen von Kindern auf meine Handlungen mit ihnen.

Mein Weg in der Psychomotorik, oder  - besser ausgedrückt -  in der Welt des bewegten Lebens, des bewegenden Handelns mit Kindern, hatte von Anfang an ein Thema: Wie kann ich mit Kindern sein? Archetypische Zugänge, wie Vater, Mutter, Held, Krieger, Opfer; Polaritäten und Dualitäten wie gut und böse, falsch und richtig, Schuld und Unschuld; kindliche Zugänge wie Clown, Narr; gesellschaftskonforme Bezüge wie Therapeut, Helfer, Heiler, Förderer, Lehrer udgl. mehr – all dieses mündete in jedem Fall in obige Frage nach dem Sein mit Kindern, der letzten Frage nach dem ultimativen a priori: Wie sehe ich mich in meiner Beziehung zu diesem Kind/diesen Kindern. In welcher Beziehung stehe ich zu ihnen? Wer oder was will ich in ihrem Leben sein? Inwieweit kann/soll/darf ich mich in ihr Leben, ihre Entwicklung einmischen? Wie definiere ich meine Rolle als sogenannter professioneller Helfer? Wie halte ich all die divergierenden Anforderungen unterschiedlichster Systeme bezüglich heilen, helfen, fördern, entwickeln aus? Und wo bin schlussendlich ich in diesem System? Meine Bedürfnisse, Interessen, Erkenntnisse, Handlungspläne?

Der Wandel wurde dadurch ermöglicht, daß ich in der äußeren Welt viele nährenden Quellen erleben durfte (siehe Schluß), und daß ich in der inneren Welt, die mein Handeln beeinflußte, unbewußt einer Eigenschaft folgte, die ich später in meinen verschiedenen körpertherapeutischen Ausbildungen praktisch und theoretisch wiederfand: Arbeite direkt mit dem Lebendigen und verbinde dich mit dem, was pulsiert, lebendig ist...... und nicht mit den Problemen, Beschwerden, Störungen, Symptomen (REICH 1970). Die Quelle für eine konsequent lustbetonte Arbeit mit Kindern lag in der totalen Hingabe an das Tun (LOWEN 1979,13) und in einer liebevollen Verbindung mit dem Moment des kindlichen Erlebens und Lebens. So wurde langsam aus einer funktions- und leistungsorientierten Person – was mir als ehemaligem Leistungssportler und Trainer nicht schwerfiel – eine mehr oder minder verstehende und seinem Inneren Kind (KRISHNANANDA 1998, MONTAGU 1984, FULGHUM 1991, CHOPICH/PAUL 1993, ) (weitere Bemerkung 3) treu ergebene Beziehungs-Person, ein ganz normaler, einfacher Spiel-Kamerad. Dies ging nicht ohne Verletzungen – im Innern wie im Außen (siehe „Doppelmord“) – ab. Durch liebevolle Begleitung und professionelle Supervision durch meine Frau und Weggefährtin Amara Eckert, mit der ich anfangs diese Gruppen gestaltete , erhielt ich glücklicherweise das oft notwendige korrektive Feedback und vielfältige ermunternde Unterstützung. Für die an der körpertherapeutischen Arbeit näher interessierten Leser und Leserinnen verweise ich auf den entsprechenden Artikel von Frau Eckert in diesem Band (siehe Anm.1) und eine frühere Arbeit von uns (Eckert/Fichtner,1991).

Da ich von Anfang an Kinder als meine Spiegel betrachten konnte – und sogenannte „behinderte“ oder „auffällige“ Kinder erst recht – war es stimmig, daß wiederum ein Kind aus meiner Gruppe den entscheidenden Impuls zu einer radikalen Neubesinnung meiner Arbeitsweisen gegeben hatte: „Lieber Ali Feuerdrache (das war ich), woher willst Du wissen, was gut ist für mich? Warum soll ich jetzt mit dem Rollbrett fahren? Ich möchte lieber, daß du mit mir fortfliegst“. Dies war die Frage/Antwort auf eine gut gemeinte psychomotorische Intervention von mir, der Junge solle sich doch jetzt stehend mit geschlossenen Augen auf einem Rollbrett zum Schloß der Prinzessin schieben lassen, um sie zu befreien. Ich habe ihn dann aufgehoben und er konnte auf meinem Rücken liegen und „losfliegen“. Das war es, was  er brauchte: Körperkontakt , Innigkeit und Wärme. In die gleiche Ebene gehört die Frage eines Kindes:„Wann bist Du denn mit deinem Turnen fertig, wir wollen endlich spielen?“, nachdem ich einmal zu Beginn einer Einheit einen klassischen psychomotorischen Einstieg mit Fangspiel, Rollbrett, Pedalo und Weichbodenmatte vorbereitet hatte. Ich entdeckte bei diesen Kindern, daß sie Beziehung vor Förderung wollten und auch brauchten. Und ich habe es ihnen gegeben – trotz meiner Angst, „es könne in die Hosen gehen“.

Kurzum, meine verschiedenen Handlungsfelder in Hochschule (Sprachtherapie und Entwicklungsbegleitung mit Kindern), Erwachsenenarbeit (Körperthera-peutische Arbeit für Menschen im Wandel) und Kindergruppen (Psycho-motorische Förderung für „entwicklungsauffällige“ Kinder) führten im Laufe der Zeit immer zu der gleichen Frage: Wie kann ich Kinder in ihrer Entwicklung begleiten, ohne sie zu manipulieren? Wie kann ich trotz/gerade wegen des Wissens um ihre abweichenden bzw. andersartigen Entwicklungsverläufe eine innere Haltung leben, die sich nicht an dem Konstrukt „behandlungsbedürftig“ orientiert. Methodisch zunächst und später inhaltlich stellte ich mir die logisch daraus folgende Frage: Was würde geschehen, wenn ich die Daten der Entwicklung und Pathogenese des Kindes nicht zu einer Problemanalyse verweben würde? Ja, noch weiter, wenn ich Kinder nicht als Problem sehe; das nicht als Problem sehe, was auf dem Rezept steht ,was von Eltern und Ärzten als Problem gesehen wird? Und als ketzerische, unpädagogische Frage zum Schluss: Was würde geschehen, wenn ich kein persönliche Absicht in der Arbeit verfolgen würde, wenn mir alles gleich - gültig wäre, was von und mit den Kinder geschieht? Wenn ich in einem absichtslosen Raum mit den Kindern wäre, total präsent, d.h. wach für das aktuelle Geschehen, lustvoll, d.h. in einer völligen Hingabe an das Handeln und spielerisch, d.h. schöpferisch mit dem Moment verbunden, ohne Verbindung mit Vergangenheit und Zukunft. Gibt es so etwas überhaupt, wie einen absichtslosen Raum in der Begleitung von Kindern? Oder ist diese Vorgehensweise nichts anderes als eine noch subtilere Falle des therapeutischen Egos? (weitere Bemerkung 4)

Es sind auch heute noch viele Fragen offen, aber ich kann auch schon einige Antworten anbieten.

...weiter im Text...

 

 

 











 

 

 

 

 

 

 

zu weitere Bemerkung 3
Das Konzept des Inneren Kindes kann an dieser Stelle nicht näher entfaltet werden. Nach meinem Verständnis ist es eine der mächtigsten Kräfte, die unbewußt unsere Beziehungen in der therapeutischen Arbeit, in gleicher Weise mit Kindern und Erwachsenen, bestimmen. Der Kontakt, den der Therapeut zu seinem Inneren Kind hat und die Art, wie er dessen erworbene Matrix, i.e. seine Art, die Welt zu sehen, fühlen, verstehen, leben, lösen in sich integriert hat, entscheidet darüber, welchen
Raum er dem Kind im Außen zugestehen kann.

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zu weitere Bemerkung 4
Ich spreche damit ein Thema an, das in therapeutischen Settings m.E. nicht differenziert genug erörtert wird: die Bedeutung des Egos der Therapeuten, die Bedeutung von Förderung und Entwicklung im Rahmen von gesellschaftlichen Konditionierungsprozessen, Fragen von Macht und Abhängigkeit und die Rolle, die der Therapeut darin systemerhaltend spielt.

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