Die Suche nach dem Lebendigen

In dem Körper eines jeden Menschen ist seine Geschichte der Verdrängungen oder der Abwehr des Lebendigen eingeschrieben. Dies zeigt sich in den Verspannungen, oder nach Reich in dem Charakterpanzer des Menschen. In gleicher Weise gilt aber, daß jeder Mensch Löcher in diesem Panzer hat, sog. Fenster zur Seele und zur Ganzheit, die sich manchmal, meist nicht vorhersehbar, öffnen können. Danach schaue ich anfangs. Dies war die essentielle Umkehr meiner therapeutischen Arbeit. Ich suche nach dem, was lebt, was pulsiert, sich bewegt, suche die Plätze des authentischen Ausdrucks von Kraft und Lebendigkeit. Meist spüre ich es am eigenen Leib, denn diese Kraft erzeugt Resonanz und Offenheit. Der dazugehörige Inhalt, das Thema, wird wahrgenommen, aber nicht eingeordnet oder bewertet. Bei C. war es einerseits seine Trennungsangst von der Mutter. In dem er mir seine Angst total zeigte, spürte ich seine vorhandene Kraft; natürlich war ich auch betroffen über die hohe emotionale Ladung dieses Themas. Als er beim Verabschieden strahlte, weil er wieder kommen wollte, öffnete sich ein zweites Fenster zu seiner Seele. Irgendetwas in dieser Stunde muß ihn wohl berührt, erreicht haben, so daß sich seine Starre langsam lösen konnte. Die Starre war zunächst seine Körperbotschaft gewesen, mit Verspannungen im Becken, Brust- und Hals-Nacken-Schulter-Bereich, mit allen Auswirkungen auf die Grob- und Feinmotorik und koordinativen Fähigkeiten. Dies konnte ich „lesen“, mein Augenmerk ging aber auf Situationen, wo sich etwas in ihm ausdehnte.

Die Verbindung zum und das Akzeptieren des Lebendigen war für beide Personen dieses Settings risikoreich. C. hat dieses Risiko unbewußt angenommen,  trotz aller Schmerzen und Ängste. Es gibt hier auch körperenergetisch einen Zusammenhang im Lust–Angst–Zyklus. Sie sind wie 2 Seiten einer Medaille. Dort, wo die größte Angst oder der Schmerz sitzt, ist auch die größte Lust (REICH 1970). Ich brauche hier an dieser Stelle nicht viel über die neurophysiologischen Zusammenhänge zwischen dem emotionalem Erleben positiver und angenehmer Handlungen bzw. Gefühle und der Entfaltung der Antriebsregulation über das Limbische System explizieren (ROTH 1995). Dies ist uns allen aus der praktischen Arbeit bekannt, vor allem wenn wir Kinder beobachten, die nach einer vestibulär-propriozeptiven Einheit mit uns kontakten. Das lustvolle Erleben des Spannungspoles Gleichgewicht–Ungleichgewicht wirkte auch bei C. katalytisch und öffnend.

In der zweiten Stunde ist die Mutter wieder dabei. C. löst sich früh von ihr, weil er sieht, daß sie Platz nimmt. Er erkundigt sich bei mir, ob 2 Kinder aus seinem Kindergarten heute auch kommen würden und ob wir wieder die Prinzessin ins Gefängnis einsperren und fesseln würden. Als ich das bejahe  geht er los und sucht sich die Rollbretter. Die anderen aus der Gruppe entfalten gerade das Spiel, wie Ali, der Feuerdrache, verletzt ist und den Schatz nicht bewachen kann. Ich liege auf dem Boden und werde gepflegt von 3 Buben. C. sitzt daneben, beobachtet und legt dann plötzlich ein Seil über mich mit der Aufforderung, ich sei doch jetzt gesund und solle ihn zum Schloß ziehen. Dies geschieht; als ich aber während der Fahrt mit ihm Kontakt aufnehmen will, wendet er sich ab und zieht sich zurück. Dies geschieht mehrmals: Er kommt auf mich zu, mit Fragen oder auch stumm, steigt kurz in eine gemeinsame Handlung ein und trennt sich dann wieder. Dabei wird der Blickkontakt deutlich länger und intensiver.

An diesem Beispiel möchte ich ein weiteres Prinzip erläutern.

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