Kontakt und Beziehung vor Förderung

Damit Entwicklung und Veränderung in Gang kommen können, braucht es Kontakt und Berührung. Dies ist nur bedingt herstellbar; vielmehr ist es so, daß wir Begleiter auf die Einladungen durch die Kinder warten müssen. Einladungen können auf allen möglichen Handlungsebenen passieren: den Augen, dem Körper, der Stimme. Diese Einladungen kommen oft unvermittelt, verlangen von daher einen wachen und präsenten Begleiter. Auch sind Einladungen nicht zu verwechseln mit Eintrittskarten zur Förderung. Ich muß mich als Gast des Kindes verstehen und mich auch so verhalten. Jede auch noch so versteckte Förderabsicht kann den Kontakt sofort wieder abbrechen. Einladungen sind für Kinder oft mit Risiko verbunden, weil dieser offene Zustand in der Regel häufig ausgenutzt wurde und zu Verletzungen geführt hat: Immer wenn ich mich öffne, will jemand etwas von mir, will mich verändern. In dem Maße in dem ich mit C. den Kontakt genießen konnte, ohne etwas zu wollen, ergaben sich qualitative und quantitative Veränderungen. Eine dialogisch-responsive Entwicklungsförderung verlangt insbesondere vom Begleiter zunächst eine rezeptive und annehmende Haltung, ein Loslassen von Förderabsichten.

Auch der Begleiter muß mit dem Risiko der Unsicherheit leben und er weiß nicht, ob sich das Kind öffnen wird und mit ihm in einen gemeinsamen und dialogischen Entwicklungsprozeß eintritt. So bei LANGEVELD (1968), der davon spricht, daß die Begegnung mit dem anderen immer eine Begegnung mit dem Unbekannten ist. Aus der Psychomotorik wird psychomotorisches Erleben in einer kohärenten Umgebung, in der ich mich an das Kind anpasse. (weitere Bemerkung 10) und aus dem Moment heraus antworte. Eine weitere kleine Szene soll ein drittes Prinzip meiner Arbeit verdeutlichen.

Verbinde Dich mit dem Moment

In der 3. Stunde ist die Mutter immer noch dabei, sie sitzt in einer Ecke und strickt für sich, ist ganz mit dieser Tätigkeit beschäftigt, geht in diesem Tun auf. C. spiegelt seine Mutter wieder, indem er zum ersten Mal sich in das Gruppengeschehen aktiv und kreativ, zwar noch vorsichtig beobachtend, aber offen einschaltet. Er kann Vorschläge von mir aufnehmen und führt sie auf seine eigene Weise durch. Dabei wirkt er sehr konzentriert, nahezu versunken. Mimik und Gestik sind lebendig. Immer wieder juchzt er beim Fahren mit dem Rollbrett, oder beim Springen „von der Schloßmauer in den Wassergraben“. Mehr und mehr beteiligt er sich an den Verfolgungsjagden und Fesselaktionen und läßt sich auch von mir kurz halten und tragen. Manchmal, wenn er in der Nähe der Mutter ist, schaut er sie kurz an und zieht dann weiter. Zum Schluß ist er ein kleines Hundchen, das noch Hilfe braucht und ein warmes Körbchen. Wir, Ali und noch zwei weitere Hunde liegen dann zusammen im Körbchen und ich erzähle die Geschichte vom kleinen Hund,  der in die weite Welt zieht. C. hat den Daumen im Mund und kuschelt mit einem anderen Hund. Danach steht er auf, geht zu seiner Mutter und meint, sie seien jetzt fertig und ob sie mit aufräumen würde.

In dieser Szene sind mehrere Schlüsselstellen zu verstehen. C. konnte sich lösen, weil die Mutter mit sich war und die Kontrolle über ihr Kind aufgegeben hatte; sie ging total in ihrem Tun auf und zeigte ihm einen Spiegel an Lust und Freude. Körperenergetisch kann hier von Energieübertragungen im Mutter-Kind-System ausgegangen werden (BROWN 1985).

Dies erlaubte C. eine Öffnung zur Gruppe und eine Gestaltung der Situation ohne Fremdeinmischung und Strukturierung. Er konnte jeden seiner Schritte in seinem Tempo selbst gestalten. In dieser auch körperlichen Lösung von der Mutter liegt  - nicht nur frühkindlich -  der Beginn des Weges zu sich selbst. Die totale Hingabe an den Moment ist besonders im Kinderspiel möglich und kreiert den Raum von Freiheit, aus dem Entwicklung wie von selbst passieren kann. Auch hier muß der Begleiter mit therapeutischen Interventionen vorsichtig sein, muß mit der Kontrolle der Situation aufhören und selbst total in diesen Moment, der so nie wiederkehren wird, eintauchen. Die Gegenwart im Erleben mit den Kindern ist der Ausgangspunkt für all unser Tun. Diesen Moment verpassen wir dann, wenn wir zu sehr mit unserer Intentionalität verbunden sind. Alle Absichten, etwas ändern oder erreichen zu wollen, führen in die Zukunft. Die einzige Zeit aber, in der das Kind lebt, ist die Gegenwart. Sie sollte geschützt und mit Leben gefüllt werden. Sie ist der einzige Platz für Entwicklung. C. hat diesen Platz für sich gefunden. 

...weiter im Text...

 

 

 











 

 

 

 

 

 

 

zu weiteren Bemerkung 10
An dieser Stelle möchte ich die interessante Tatsache zu bedenken geben, daß zwar meist über die Entwicklung von Kindern geforscht und veröffentlicht wird, aber wenig über die dazu notwendige Entwicklung von Therapeuten ausgesagt wird. Die Kinder sollen sich entwickeln, aber entwickeln wir uns in gleichem Maße?

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