Meine Arbeitsweise schöpft aus einer grundsätzlichen Haltung zum
Menschen, zum Mensch-Sein, meines und das der Anderen. Diese Haltung ist
geprägt von einer Vorstellung, einer ganz klaren, daß wir Menschen Teil
eines lebendigen Prozesses sind, der von vielen Dingen beeinflußt, aber
wesentlich durch eine Nicht-Bestimmtbarkeit geprägt ist. Keiner weiß, wozu
das Ganze.
Bestimmen wollen viele, über andere Menschen, auch das ein Teil eines
lebendigen Prozesses, aber aufgrund der Einsicht (siehe oben), ist das
Machtstreben, welches zutiefst menschlich sein mag, eine Versuchung, der
widerstanden werden sollte. "Keine Macht für niemand" ist mir eine
geläufige Parole, die Würde des Menschen ist unantastbar, also nicht nur
anarchistische Parolen, sondern eher Einklagen von Menschenrechten. Diese
werden häufig mißachtet, auch wenn wir in Deutschland sind.
Die soziale Behinderung durch Herabwürdigung und Ausgrenzung vollzieht sich
heute vielfältig und oft schwer durchschaubar. Die räumliche, sichtbare
Ausgrenzung geschieht durch Heime und Anstalten, durch Sonderkindergärten,
Sonderschulen und Werkstätten für Behinderte.(Monika Aly: Therapie - Versuch
einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)
Wir sprechen also vom Umgang mit Menschen, die behindert sind: Die Frage
nach der Diagnose, nach der Störung ist eine, der den Mensch von Anfang an,
schon im Mutterleib, ausgesetzt wird: Was ist los mit dir; alles in Ordnung?
Der erste Check meist schon im Mutterleib, dann bei der Geburt: Was sagt der
Doktor: Männchen, Weibchen, wie schwer, wie groß, welche Besonderheiten ?
Das medizinische Denken zerlegt den Menschen in seine Funktionen und be- und
verurteilt ihn nach statistischen Standardnormen.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)
Spätestens mit der Schule beginnen Standardnormen überhand zunehmen, und
wer der ersten Runde entkam, wird hier noch mal in Frage gestellt;
diagnostiziert und wenn von Störung, Dysfunktion und Behinderung betroffen,
nochmals der medizinischen Versorgung zugeführt. Neuerdings immer direkter
der medikamentösen Versorgung, wenn es denn sein muß Psychopharmaka selbst
bei vierjährigen, bei ADS beispielsweise.
Milani und Roser stellen eine "minuziöse und fast zwanghafte Suche
nach dem Defekt" fest, auf die ein ebenso zwanghaftes Bemühen um eine
"verbessernde" Therapie folgt.
Diese medizinische Denkweise, von der auch längst Psychologie und Pädagogik
angesteckt sind, würdigt die Betroffenen herab, erniedrigt sie zu Objekten,
zerstört ihre Identität und entmündigt sie letztlich. Die medizinische
Denkweise ist auch durch jene Maßlosigkeit gekennzeichnet, alles menschliche
Verhalten in ihr System einordnen zu wollen, und legt damit den Grundstein
für die verhängnisvolle Entwicklung von der Therapie zur Therapeutisierung.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)
Und wenn Verbesserung in den Alltagssituationen, in Schulen und
Kindergärten nicht zu schaffen sind, werden Fachleute geholt, die sich für
Verbesserungen zuständig fühlen. Therapeuten eben.
Aus Musizieren wird Musiktherapie, aus Turnen Sporttherapie, aus Malen und
Basteln Beschäftigungstherapie, aus Tanzen Motopädie, aus Freizeit
Freizeittherapie usw. Der Alltag wird zur Therapie erklärt. Aber es handelt
sich nicht nur um Wortgeklingel. Die Therapeutisierung des Alltags ist hier
wie anderswo Ersatz für wirkliches Leben und gleichberechtigten normalen
Umgang zwischen Menschen.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)