Speziell - die Psychomotorik

In dieser Situation befinden wir - Psychomotoriker, Motopäden, Mototherapeuten - uns;
die meisten von uns gefangen genommen vom therapeutischen Alltag: zwischen Befriedigung der Erwartungen von allen, die an uns die Verbesserung delegiert haben: Ärzte, Eltern, Pädagogen..., auf der Jagd nach den neuesten therapeutischen Tricks, Kniffen und Ideen, wie man das am besten schafft. Der Fortbildungsmarkt boomt dort, wo die bessere Technik Veränderung garantiert und bei vielen dämmert langsam die Einsicht, daß das so nicht weitergehen kann. Monika Aly hat früh angefangen, sich in Frage zu stellen:
Mein Blick war auf den Defekt gerichtet, die Defizite des Kindes - jede Besserung meiner kleinen Patienten erschien mir als Erfolg meiner Behandlung.
Die Eltern glaubten mehr an meine therapeutischen Fertigkeiten als an die Eigenentwicklung ihres Kindes. Die Motorik des kleinen Säuglings stand für mich fast ausschließlich im Vordergrund, so daß ich jeden motorischen Fortschritt gleichzeitig als ganz allgemeinen Fortschritt des Kindes ansah.

(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)

Die Diagnostik, die in der Medizin als Voraussetzung für Therapie betreiben wird, ist ein Initiationsritual, um das man nicht herum kommt, und damit auch nicht um die Defektbeschreibung, weil eben dieser Defekt, die Störung, die drohende Behinderung als Anlaß zur Erklärung der Zuständigkeit von Krankenkassen und Sozial- und Gesundheitsämtern ist: Ohne Rezept keine Therapie. Diesen Vorgang kann man akzeptieren, aber man sollte wissen, welches Menschenbild in diesen Vorgängen geschaffen wird.
Milani und Roser kritisieren die emendierende (verbessernde) Therapie. Sie machen damit deutlich, wie eng so geartetes therapeutisches Denken mit der Nicht-Anerkennung des An-ders-Seins des behinderten Menschen verwandt ist. Verändern wollen, weg machen wollen, ungeschehen machen wollen liegt diesem Denken zu Grunde. Die Anleihe für ein solches Denken ist bei der Medizin gemacht - wie die Italiener ausführen, bei der Medizin der Krankheit.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)

Die Gesundheit ist ein erstrebenswertes Gut, und zur Erhaltung der Gesundheit machen die Menschen alles. Eine Kränkung, egal als temporäre Erkrankung oder als Behinderung, wird von Menschen nicht einfach hingenommen. Krankheiten, selbst Schnupfen sollen besiegt und Störungen beseitigt und Behinderung ja, eben, gar nicht da sein.
Diese medizinische Denkweise, von der auch längst Psychologie und Pädagogik angesteckt sind, würdigt die Betroffenen herab, erniedrigt sie zu Objekten, zerstört ihre Identität und entmündigt sie letztlich.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)

Es macht keinen Sinn die "Götter in Weiß" sich vor Augen zu führen, es reichen die Bilder aus normalen Behandlungssituationen. Wir wissen Bescheid, welche Defekte das Kind hat, welche Dysfunktionen mit welchen Verhaltensweisen zusammenhängen; wir können bestimmte Verhaltensweisen uns erklären, Verhaltensweisen, an denen Eltern verzweifeln, die sie von uns erklärt haben wollen.
Kraft unseres Wissens sind wir in der Lage zu bestimmen, was gut ist für diese Person. Dieses Wissen steckt tief in uns und ist Legitimation für unsere Heil - und Hilfsberufe. Wir kennen die Fallstricke des Helfens, unsre Hilflosigkeit, die in der nächsten Fortbildung wieder von neuen effizienteren Therapiemethoden verdeckt wird; unsere Delegation auf Schule und Eltern, die nicht richtig mit dem Kind umzugehen wissen; und kennen die Freude, wenn das Kind unseren Fortschrittsglauben unterstützt, der nur wenige Kategorien im Auge hat und nicht das Leben, sondern bestimmte Funktionen meint. Und dann ist da die Halbheit, mit der wir ahnen, daß wir dieses System befriedigen müssen, weil, es gibt ja kein anderes.

Gerade mit der Psychomotorik kann man diesen Spagat wundervoll betreiben: Einerseits ganzheitlich, persönlichkeitsorientiert, andererseits Diagnostik, störungsorientiert, Zerteilen in Funktionen, um doch noch der medizinischen Denke und Kohle zu entsprechen. Und dann die große Vision, es muß noch mal ganz anders gehen, vielleicht so:
Das Kind macht einen Vorschlag, der Erwachsene einen Gegenvorschlag, dadurch entsteht ein Dialog. Zwischen Vorschlag und Gegenvorschlag gibt es eine "kreative Differenz", die auch Geheimnisse in sich birgt. In einem solchen Dialog kommen beide Partner nie mehr zum Ausgangspunkt zurück, sondern entwickeln gemeinsam etwas Neues. Im Gegensatz dazu steht der geschlossene Reiz-Antwort-Kreis, bei dem Therapeut und Kind - orientiert am Defekt - immer in gleicher Ebene bleiben. Im Dialog wird der Vorschlag des Kindes respektiert, die Antwort des Erwachsenen bewegt sich so genau auf der Ebene des Kindes, das daraus neue Fragen entwickelt, der Erwachsene ebenso. Daraus entsteht ein Dialog, der sich durch die persönliche Kompetenz des Kindes, auch unabhängig von seiner Behinderung, immer weiter entwickelt.
(Monika Aly: Therapie - Versuch einer persönlichen Bilanz, 1997 in http://bidok.uibk.ac.at/)

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