5. Be - deutungen

Auch Psychomotorik unterliegt den historischen Bedingungen postmoderner Gesellschaftsentwicklung. Und dort gibt es weniger Eindeutigkeit sondern eher Mehrdeutigkeiten. Es gibt kein Meta-Konzept des Richtig oder Falsch, sondern aus unterschiedlichen Blickwinkeln eine Mehr-perspektiven-Sichtweise. Und es gibt ein Wort, das all diese Inhalte richtungsweisend faßt: Transversalität / Transversale Vernunft. Transversalität ist das nicht-lineare Denken der Vielfalt, ein Denken in pluralen Bezügen, ein pluriformes Denken (vgl. 'Tree of science', in: Pet-zold 1993, 457 ff; Welsch 1996, v.a.748 ff). Es gibt keinen linearen Verlauf von Entwicklung, sondern es gilt, die Vielfalt von Entwicklungsbedingungen in den Blick zu nehmen. Transversalität unterstützt das Denken in pluralen Bezügen. Nicht eine Denkrichtung ist richtig -und diese Denkrichtung muß übernommen werden- sondern aus unterschiedlichen Sichtweisen ist subjektiv zu überlegen, was individuell richtig scheint. "Je weiter fortgeschrittener die Sache der Freiheit zu Hause ist, so scheint es, desto weniger besteht eine Nachfrage nach den Diensten von Eroberern fremder Länder, in denen die absolute Wahrheit angeblich beheimatet ist. Wenn die eigene Wahrheit sicher und die Wahrheit der anderen keine Herausforderung oder Bedrohung zu sein scheint, kann die Wahrheit sehr wohl ohne Sykophanten leben, die versichern, sie sei 'die wahrste von allen', und ohne die Kriegsherren, die entschlossen sind, dafür Sorge zu tragen, daß keiner anderer Meinung ist (...) Differenz ist schön und darum doch um nichts weniger gut" (BAUMANN 1996, 310f).
Wenn BAUMANN an anderer Stelle in 'Moderne und Ambivalenz' schreibt, "Das Bewußtsein der postmodernen Lage enthüllt Toleranz als Schicksal" (289), so entwickelt er die Toleranz (der anderen Meinung) in Solidarität, dabei nicht nur die andere Meinung zu tolerieren, sondern die Differenz als notwendige Bedingung der Bewahrung der eigenen Unterschiedlichkeit anzuerkennen: "Und so ist die Transformation des Schicksals in das Geschick, der Toleranz in Solidarität nicht einfach eine Sache der moralischen Perfektion, sondern eine Bedingung des Überlebens. Toleranz als 'bloße Toleranz' ist zum Tode verurteilt; sie kann nur in der Form der Solidarität überleben. Es würde einfach nicht ausreichen, zufrieden zu sein, daß die Differenz des anderen meine eigene nicht einschränkt oder schadet" (312). Stütze ich in diesem Sinne die Differenz, so ist das Mannigfaltige, das Vielfache nicht das, was uns einengt, sondern wenn wir dieses Mannigfaltige hören und leben, dann können wir uns öffnen und in uns beginnt gleichsam eine Veränderung. Dies müssen nicht 'die' großen Schritte sein, sondern Transversale Vernunft als Aufforderung modifiziert Denken und Verhalten schon in Nuancen: "Transversalität kann zum elmentaren Modus von Lebensformen werden. Man erfährt und denkt dann in Übergängen. Und man weiß, daß man sich in ihnen nicht verliert, sondern gewinnt, und daß man dabei übereinstimmungsfähiger wird mit Dingen und Menschen, daß man dadurch auch in sich reicher und bei aller Vielfalt einträchtiger werden kann" (Welsch 1996, 948).

"Wissenschaft verlangt die Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen und Erklärungsmodelle immer wieder grundsätzlich in Frage zu stellen und sich neuen Visionen zu öffnen. Psychotherapeuten haben - als Erben der Theologie - hier offenbar besondere Schwierigkeiten, von ihren Dogmen zu lassen." (Vladimir N. Iljine, 1942, in: PETZOLD, Integrati-ve Therapie, 1993, II/2, S.649)



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