6. In - form -ation

Der Mensch praktiziert und schafft ständig Vielheit und Vielfalt. Er ist von dem Bemühen begleitet, das Viele unter das Eine zu zwingen (vgl. Gestalt und Rhizom. Postmoderne Marginalien zu Einheit und Vielfalt, in: PETZOLD 1993, 397-411). Die Wissenschaftsgeschichte hat gezeigt, daß ein ausschließlicher Wahrheitsanspruch einer Theorie als schlechte Ideologie betrachtet werden muß, wenn Theorien zu Dogmen werden, zu Schulen, die zu Wahrheits- und Glaubennskriegen (ver-) kommen. "In der 'Integrativen Therapie' sehen wir im Sinne Heraklits das Ganze und das Viele als gegeben, Ganzheitlichkeit hingegen als ein Ideal, das es anzustreben gilt -theoretisch wie praktisch- durch das man sich dem Ganzen mit unterschiedlicher Intensität nähert, ohne es je vollständig zu erreichen...auf einem langen Weg der Lebenspraxis und Bewußtseinsarbeit, gemeinsam. Das Ziel wandert mit dem Horizont weiter. Ganzheitlichkeit erfordert die Wertschätzung des Fragments, des Teils, des Teilziels.(...) Es bleiben - und das kennzeichnet das Konzept der Mehrperspektivität - immer unterschiedliche Ansichten auf das Ganze, und es sind immer neue Teilansichten von ihm zu entdecken. Das Ganze enthüllt sich nie vollständig. Ganzheitlichkeit als Ideal, als utopischer Entwurf (Bloch) impliziert den Verzicht, das Ganze jemals zu erreichen. Das indes vermag zur Zufriedenheit mit dem Vorläufigen, dem Werdenden zu führen, jener 'bricolage', jenem Puzzlespiel des Lebens, das uns immer wieder das beglükkende Gefühl gibt, "ein Stück" erreicht zu haben und in ihm etwas von der "Atmosphäre des Ganzen" und vom "Reichtum des Vielen" zu erspüren." (PETZOLD 1996, 180 f)

"Müsset im Naturbetrachten
Immer eins wie alles achten;
nichts ist drinnen, nichts ist draußen:
Denn was innen, das ist außen."

(J.W.Goethe, zit. in: Dederich, In den Ordnungen des Leibes, 1996, S.79)


Dies wäre eine Perspektive für die Psychomotorik, die Vielfalt und die Teile der Vielheit in den Blick zu nehmen, um aus der Mehrperspektivität das Ganzen zu verstehen; unter der Prämisse, daß es keine Meta-Ebene von Wahrheit gibt, sondern Wirklichkeit pluriform mehrdeutig ist. Ein Eintreten in einen Prozeß wechselseitiger direkter und persönlicher Begegnung, im Diskurs und im Synergieprozeß des Zusammenspiels des 'Vielen', Neues entstehen zu lassen. Neue Wirklichkeiten, neue Qualitäten. Sich entwickeln. Ganzheit als Form von Information. Wird diese In-formation nicht gegeben, dann wir haben es mit Macht zu tun (vgl. ORTH / PETZOLD / SIE-PER 1996, 119 ff). Eine Macht, Information nicht weiterzugeben. Macht, Vielfalt auszuschließen. Macht in diesem Sinne macht ohnmächtig, und diese Ohnmacht wird von der Vielheit, die ausgeschlossen und ausgegrenzt wird, im Selbstwert und an Wertschätzung erheblich getroffen. In diesem Sinne heißt nicht gegebene Information keine Mitbestimmung geben, Ausschluß und Denkverbot. Denkverbot wiederum heißt, keine Offenheit anzustreben - und nur mit einer Of-fenheit können wir das Offene und das Geschlossene auch in den Blick nehmen. In diesem Sinne wird Information 'in eine Form' gegossen, zementiert und wird aus dieser Regungslosigkeit selbst erstarren.

...weiter im Text...